Jack the Ripper
Einer der unheimlichsten Frauenmörder aller Zeiten
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Fünfmal
mischte sich in das rege nächtliche Treiben des Londoner Stadtteils
Whitechapel ein unauffälliger kleiner Mann. Fünfmal sprach er
mit einem Straßenmädchen. Und jesemal starb das Mädchen
mit durchschnittener Kehle: Das war das blutige Kennzeichen dieses Mannes,
den man bald Jack the Ripper, "Jack der Aufschlitzer" nannte.
Dutzende von Detektiven - Laien wie Fachleute - haben Theorien darüber aufgestellt, wer dieser kleine Mann war; aber niemand hat die Frage endgültig beantwortet. Seine brutalen Verbrechen sind und bleiben, nach nunmehr fast 100 Jahren, unbegreiflich und unaufgeklärt. East End, der Ostteil von London, war im Viktorianischen Zeitalter eine schwärende Wunde im Antlitz Englands. Armselige Behausungen säumten Gassen, in denen stinkende Abfälle lagen. Nachts glichen die Sträßchen, Höfe und Winkel schwarzen Höhlen, in die der Schein des Kerzenlichtes hinter den Fenstern nicht reichte. In Elendslöchern kämpfte drinnen die zusammengepferchte Bevölkerung um etwas Ellbogenfreiheit, während draußen Männer, Frauen und Kinder sich erbärmlich und oft auf kriminelle Weise durchschlugen. Den einzigen Trost bot Vergessenheit bei einer Flasche Gin für ein paar Pence. Für viele Mädchen und Frauen war Prostitution die einzige Möglichkeit, ihr Leben zu fristen. In diesen Hexenkessel trat Jack the Ripper im Herbst 1888 hinaus. Er brachte Angst und Entsetzen mit. |
Der Mann wartete sieben Tage, ehe er von neuem zuschlug. Das Opfer war, wie alle anderen auch, ein Straßenmädchen, die 47 Jahre alte Annie Chapmann. Die "Dunkle Annie", wie man sie nannte, litt an Lungenschwindsucht im letzten Stadium, als der Mörder sie niederstreckte. Ein Lastträger vom Spitalfields-Markt fand die Tote in einem Hinterhof der Hanbury Street. Annies Ringe und ein paar Münzen lagen sorgsam aufgereiht zu Füßen der erschreckenden Überreste ihres Körpers: Dieser war völlig ausgeweidet worden.
In Whitechapel gingen nun die wildesten Gerüchte um. Da hieß es, der Mörder trage seine Messer in einem schwarzen Täschchen bei sich. Es kam zu Straßenaufläufen, als hysterisch gewordene Menschen jedem nachjagten, der eine solche Tasche trug. Man bildete Aufpassertrupps zur Überwachung der Straßen, und die Polizei verhaftete zahllose unschuldige Personene als Verdächtige.
Aber Jack the Ripper hatte keine Spuren hinterlassen. Polizeiärzte konnten über ihn nur sagen, daß er Linkshänder sei und einige anatomische Kenntnisse besitzen müsse. Die Morde, so stelle ein Gerichtsmediziner fest, seien "geschickt und recht sachkundig" ausgeführt worden.
Ein weitere Hinweis
Am 30. September zerstückelte der Unhold nachts zwei weitere Frauen und hinterließ dabei eine Spur, die vielleicht den einzigen unmittelbaren Hinweis auf diese entsetzliche Person darstellte. man fand die "Lange Liz" Stride mit noch blutender Kehle hinter dem Haus Nummer 40 in der Berner Street. Wenige Wegminuten weiter, am Mitre Square, bald die Leiche von Kate Eddowes, die schrecklicher zugerichtet war als alle anderen. Von ihren zerstückelten Körper führte eine Blutspur zu einem Hauseingang, wo jemand mit Kreide an die Wand gekritzelt hatte: DIE JUDEN LASSEN SICH NICHT UMSONST BESCHULDIGEN. Hieß das, daß der Mörder ein Jude war, der sich an der Welt rächte, weil sie ihn verfolgte? Oder war es ein wahnsinniger Richter, der das Amt der Henkers selbst übernommen hatte? Die Inschrift hätte - ganz gleich, was sie bedeutete - ein entscheidender Hinweis sein können; sie wurde jedoch nicht untersucht. Denn völlig unerklärlicherweise befahl nämlich Sir Charles Warren, der oberste Polizeichef der englischen Hauptstadt, sie wegzuwischen.
Der Doppelmord versetzte ganz London in Schrecken. Gerüchte schwirrten duch die Stadt: Der "Ripper" sei ein irrsinniger Arzt. Ein wildgewordener Pole. ein Geheimagent des russischen Zaren, der die Londener Polizei in Mißkredit bringen wolle. Ein Puritaner sei er, den die Lasterhaftigkeit der Stadt umtreibe. Manche hielten Jack the Ripper sogar für eine geisteskranke Hebamme, die einen mörderischen Haß auf das Dirnentum habe. Niemand wußte wirklich etwas. Der Mörder war immer noch auf freiem Fuß. Und am 9. November schlug er von neuem zu.
Der letzte, außer dem Mörder, der die 25jährige Mary Kelly lebendig sah, war ein Passant namens George Hutchinson, den sie um Geld angebettelt hatte, um die Miete für ihr winziges Kämmerchen in Miller's Court Nummer 13 zusammenzubringen. er sah dann, wie sie weiterging und einen kleinen, gutgekleideten Mann ansprach, der einen blonden Schnurrbart hatte und eine Jagdmütze trug. Am nächsten Morgen wurde Marys zerstückelte Leiche in ihrer Kammer entdeckt.
Sie war das letzte Opfer des "Rippers". Dieser ging von nun an seinem grausigen Geschäft nie mehr nach. Detektive haben immer wieder versucht, seine Spur zu finden, doch ohne zwingendes Ergebnis. Die Polizeiakten über den Fall liegen in Scotland Yard unter Verschluß und dürfen nicht freigegeben werden.
Vermutlich werden sie vorwiegend Spekulationen enthalten. denn Jack the Ripper verschwand jedesmal, wenn er gemordet hatte, im Menschengewühl von Whitechapel. Wenn er arm war, woher hatte er dann die medizinischen Kenntnisse, um seine teuflischen "Operationen" auszuführen? War er wohlhabend, wieso war er dann inmitten der abgrundtiefen Armut von East End niemanden aufgefallen? Und wie konnte er unbemerkt sein scheußliches Werk verrichten, für das nach Schätzung der damaligen Chirurgen macnhmal eine ganze Stunde erforderlich war? Diese Fragen sind immer noch unbeantwortet.
Die wahrscheinlichste Theorie über die Person Jack the Rippers ist wohl die des Schriftstellers und Radiosprechers Daniel Farson. Auf Grund von Aufzeichnungen von Sir Melville Macnaghten, der ein Jahr nach den Morden bei Scotland Yard eintrat und 1903 Chef der Kriminalpolizei wurde, führte er eigene Recherchen durch. Diesen zufolge konzentrierte sich der Verdacht der Polizei auf drei Personen: einen russischen Arzt und Mörder namens Michael Ostrog, einen von Frauenhaß erfüllten polnischen Juden namens Kosmanski und einen verkommenen Anwalt, der Montague John Druitt hieß.
Schließlich sei der stärkste Verdacht, so schrieb Macnaghten, auf Druitt gefallen. Farson führte jahrelang Nachforschungen in Druitts Familie durch und stimmte dieser Ansicht dann zu. Er berichtete, selbst seine Angehörigen hätten ihn für Jack the Ripper gehalten, und verweist darauf, daß sein Vetter, Dr. Lionel Druitt, eine chirurgische Praxis in Whitechapel Minories hatte - und von dort war es nur ein Weg von zehn Minuten bis zu der entferntesten der Mordstellen. Druitts Mutter, so fügt Farson hinzu, war geisteskrank; und vielleicht fürchtete Druitt, ebenfalls irrsinig zu werden.
Verhaftet wurde er nicht. Er verschwand bald nach dem letzten Mord, und sieben Wochen später, am 31. Dezember 1888, fand man seine Leiche in der Themse treibend. Hatte er Selbstmord verübt? Oder war er selbst Opfer eines Verbrechens geworden? Jedenfalls hörten mit seinem Verschwinden auch die Morde auf.